Definition von Fremdwasser

 

Der Begriff „Fremdwasser“ wird sowohl in den Bundes- als auch Landesgesetzen nicht explizit definiert, sondern lediglich als Bestandteil des Abwassers umschrieben.  Die europäische Norm DIN EN 752-1 beschreibt Fremdwasser als “unerwünschten Abfluss in einem Entwässerungssystem”, im DWA Merkblatt M-182 wird Fremdwasser wie folgt definiert:

„Fremdwasser ist das in Abwasseranlagen abfließende Wasser, welches weder durch häuslichen, gewerblichen, landwirtschaftlichen oder sonstigen Gebrauch in seinen Eigenschaften verändert ist, noch bei Niederschlägen von bebauten oder befestigten Flächen gesammelt und bestimmungsgemäß eingeleitet wurde.“

Laut DWA-Merkblatt M-182 ist bei der Beurteilung von Fremdwasser insbesondere die jeweilige Zweckbestimmung der unterschiedlichen Kanalsysteme in Deutschland zu beachten.

 

Abwassersysteme in Deutschland

 

In Deutschland gibt es zwei verschiedene Ableitungssysteme in der Entwässerungstechnik. Im Mischsystem bzw im Mischwasserkanal werden alle Abwässer, also häusliches, gewerbliches und industrielles Schmutzwasser, zusammen mit Regenwasser in einer gemeinsamen Leitung gemischt abgeführt und der Kläranlage zugeführt. Die Alternative zu diesem System ist das Trennsystem, bei dem das Schmutzwasser und das Regenwasser in getrennten Kanälen abgeführt werden – hier müssen also alle Leitungen doppelt ausgeführt werden. Während früher die geringeren Betriebs- und Installationskosten von Mischsystemen häufig ausschlaggebend für die Entscheidung waren, geht der Trend heute in Richtung Trennsystem. Das Trennsystem hat den Vorteil, dass relativ gering belastetes Regenwasser nicht durch die Kläranlagen geschickt werden muss. Dadurch kann die Abwasserreinigung wesentlich gründlicher und auch kostengünstiger erfolgen. Auch der Schmutzwasserkanal kann kleiner dimensioniert werden. Insbesondere hier spielt Fremdwasser jedoch eine große Rolle, da das Fassungsvermögen des  Schmutzwasserkanals nicht auf größere Mengen von Regenwasser ausgelegt ist.

 

Ursachen von Fremdwasser

 

Im Allgemeinen versteht man also unter Fremdwasser den Anteil des Abwassers, der ungeplant und ungewollt im Mischwasserkanal oder Schmutzwasserkanal landet. Insbesondere wurde Letzterer in der Planung so dimensioniert, dass theoretisch gar kein Regenwasser abgeführt werden muss. In der Realität jedoch zeigt sich, dass Fremdwasser das eigentliche Volumen des Abwassers um ein Vielfaches übersteigen kann. Typische Quellen von Fremdwasser sind Regenwasser, Grundwasser und Oberflächenwasser, das durch Leckagen in die Kanalisation eindringt. Auch Fehlanschlüsse von Leitungen führen zu Fremdwasserzuflüssen. Dabei kann es sich um zunächst temporäre Drainageleitungen handeln, die nach Beendigung einer Baumaßnahme ‚vergessen‘ wurden, aber auch um generell unerlaubte sowie falsch angeschlossene Leitungen, die anstelle mit einem Regenwasserkanal mit dem Schmutzwasserkanal verbunden sind.

 

Grundsätzlich kann hinsichtlich der Herkunft von Fremdwasser zwischen grundwasser- und niederschlagsbedingten Fremdwasser unterschieden werden (siehe Abbildung 1). Grundwasserinduziertes Fremdwasser gelangt in den meisten Fällen über beschädigte, undichte Leitungen in den Abwasserkanal und fließt relativ konstant zu, während niederschlagsbedingtes Fremdwasser überwiegend im Nachgang von Regenereignissen über unterschiedliche Wege in die Kanalisation gelangt. Die Zuflussmenge variiert hier sehr stark in Abhängigkeit der Niederschlagsstärke.

Abbildung 1: Ursachen von Fremdwasser (aus [4] bzw Originalversion aus [5])

 

Problematik von Fremdwasser

 

Die Auswirkungen von Fremdwasser in der Kanalisation zeigen sich in vielen Facetten. Die Verdünnung des Abwassers verringert die Abbauleistung der Kläranlage und Schadstoffe können vermehrt in die Gewässer gelangen. Die zusätzliche hydraulische Belastung der Kläranlage wirkt sich auch auf die Energie- und Kosteneffizienz der Kläranlage aus, da beispielsweise Pumpen und Hebewerke stärker ausgelastet werden. Etwa ein Viertel des Abwassers, welches zur Behandlung in der Kläranlage ankommt, müsste nicht behandelt werden. Somit ist das Abführen von Fremdwasser auch ein direkter finanzieller Faktor, da  größere Volumina von Abwasser behandelt werden als es notwendig wäre. Dies erhöht die Kosten für die Abwasserentsorgung und führt zu höheren Gebühren für die Kunden bzw. letztendlich die BürgerInnen.

 

Auch Entlastungsbauwerke wie z.B. Rückhaltebecken, welche im Mischsystem bei Starkregenereignissen Abwasser vor der Reinigung in der Kläranlage in gewissem Umfang puffern können, werden durch Fremdwasser zusätzlich belastet. Sie füllen sich schneller und überschreiten häufiger als erforderlich ihre Kapazität. In Fall eines Überlaufens von Rückhaltebecken kommt es zu sogenannten Entlastungen, bei denen ungeklärtes Abwasser direkt in ein natürliches Gewässer abgeführt wird. Laut Umweltministerium sind diese Entlastungen für bis zu 50% der vorhandenen Schadstoffe in deutschen Fließgewässern verantwortlich. Zusätzlich wirken die so plötzlich austretenden Wassermassen wie ein hydraulischer Stoß und können die Biodiversität des Vorfluters nachhaltig schädigen.

 

Ein Teil des Fremdwassers dringt über marode Kanäle in die Kanalisation ein. Hier unterstreicht die Existenz von Fremdwasser also zudem die Tatsache, dass große Teile des Kanalnetzes in Deutschland erhebliche bauliche Mängel aufweisen. Undichtigkeiten können sowohl zur Exfiltration, also dem Austreten von Abwasser aus dem Kanal in den Boden und das Grundwasser, als auch zur Infiltration (Eindringung) von Grund- und Niederschlagswasser in den Kanal führen. Durch die Drainagewirkung undichter Kanäle kann sich örtlich ein abgesenkter Grundwasserstand einstellen. Dies birgt Risiken für den Boden, die Bebauung und die Vegetation. So sind beispielsweise Einspülungen von Bodenmaterial in die Kanäle möglich, die zu unterirdischen Hohlräumen führen. Straßeneinbrüche oder Bauwerkssetzungen können die Folge sein. Tiefwurzelnde Pflanzen wie Bäume verlieren ihren natürlichen Grundwasseranschluss.

 

Zahlen und Fakten

 

Der vom DWA Landesverband BW durchgeführte Leistungsvergleich der kommunalen Kläranlagen [1] ergibt für 2004 einen durchschnittlichen Fremdwasseranteil von 35 % (in BW) – wobei nur sehr wenige Landkreise unter 25% liegen, einige sogar über 50%. Die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen steigender Fremdwasseranteile lassen sich z.T. relational aber auch in konkreten Zahlen formulieren [1,2,3].

 

Für die Dimensionierung von Abwasseranlagen wird ein bestimmter Fremdwasseranteil (FWA) angenommen, der zur Zeit der Bemessung gerechnet wurde. Wenn dieser zu klein angesetzt wurde oder sogar über die Zeit steigt, kommt es zu mehr Entlastungen. Es kann gezeigt werden, dass das Verhältnis von FWA zu entlasteter Fracht von Schadstoffen superlinear ansteigt [2]. Im Bereich der Abwasserableitung bzw. der Mischwasserbehandlung führt ein erhöhter Fremdwasseranfall vor allem bei der Bemessung von Regenüberlaufbecken zu größeren Beckenvolumina mit entsprechend höheren Investitionskosten. In einer Modellrechnung wurde gezeigt, dass das spezifische Speichervolumen eines Rückhaltebeckens überproportional mit dem FWA ansteigt [3]. Darauf basierend wurde exemplarisch eine jährliche (!) Kostensteigerung von 4000Euro bei 20% FWA auf 26.000Euro bei 60% FWA für dieses RÜB berechnet [2]. Auch bei der Bemessung von Kläranlagen wirkt sich Fremdwasser in ähnlicher Weise auf die notwendigen Beckenvolumina und somit auf die jährlichen Kosten aus.

 

Im Bereich der Kläranlage wird zudem die Ablaufqualität durch Fremdwassers stark beeinflusst. Hier kommt es durch einen hohen FWA einerseits zu einem Verdünnungseffekt, der sich negativ auf die biologischen Reinigungsprozesse auswirkt, zum anderen zu einem Temperaturrückgang, da Fremdwasser in der Regel deutlich kälter ist als Schmutzwasser. Die Auswrikugen zeigen sich z.B. beim Abbau von Stickstoff: bei steigendem FWA nimmt zwar die Schadstoffkonzentration im Abfluss ab, die tatsächliche Fracht steigt jedoch an, d.h. die Gewässer werden absolut stärker belastet. Ab einem FWA von 60% nimmt die Temperatur im biologischen Reaktor zudem so weit ab, dass der Abbau gar nicht mehr möglich ist und sowohl die Fracht als auch die Konzentration im Abfluss sprunghaft ansteigt. So beträgt die ins Gewässer abgeleitete Stickstoff-Fracht beispielsweise im September 2002 (viel Fremdwasser) 622 kg/Monat und im September 2003 (wenig Fremdwasser) nur 292 kg/Monat [2]. In einer landesweiten Betrachtung von Stickstoffabbaugraden konnte für das Jahr 2004 ein Rückgang von 78% bei <25% FWA auf 60% bei >50% FWA gezeigt werden [1]. Zudem nimmt der Wirkungsgrad der Stickstoffelimination bei Fremdwasseranteilen über 40% überproportional stark ab.

 

Sehr deutlich schlägt sich der Fremdwasseranfall auch in der Abwasserabgabe nieder [2]. Eine maßgebliche Größe bei der Berechnung der Abwasserabgabe stellt die Jahresschmutz-wassermenge dar, die neben dem eigentlichen Schmutzwasser auch das Fremdwasser beinhaltet. Als Faustwert kann für den Bereich < 50 % FWA für einen konstant über das Jahr auftretenden Liter pro Sekunde Fremdwasser rund 1.000 € für die Abwasserabgabe angegeben werden [2].

 

Fazit

 

Fremdwasser erfordert aufgrund seiner Qualität zwar eigentlich keine Abwasserbehandlung, belastet aufgrund seiner Quantität jedoch Abwassersysteme unnötig. Unter dem Aspekt des Gewässerschutzes und einem effizienten Betrieb von Abwasseranlagen ist Fremdwasser daher weitestgehend zu vermeiden (DWA M-182).

 

Quellen

[1] Schwentner, G. Spens, W. Bundschuh, R. (2005): 31. Leistungsvergleich der kommunalen Kläranlagen in Baden-Württemberg, DWA Landesverband BW

[2] Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (2006): Fremdwasser in kommunalen Kläranlagen – erkennen, bewerten und vermeiden

[3] Decker, J. (1998): Auswirkungen von Fremdwasser auf Abwasseranlagen und Gewässer, Gewässerschutz – Wasser – Abwasser, Band 168

[4] Hennerkes, J. (2006): Reduzierung von Fremdwasser bei der Abwasserentsorgung. Dissertation, RWTH Aachen

[5] US Environmental Protection Agency (2003): Regional infiltration/inflow control program, King County – Department of natural resources and parks, Washington, USA.